Warum antwortet er mir nicht?
Ja, klar, er ist gerade frisch verknallt und mit ihr nach Malle geflogen, aber das ist jetzt auch schon wieder über zwei Wochen her, dass er mir das gesimst hat.
Da es nichts bringt, auf mein Handy zu starren, pfeffere ich es auf mein Bett und fühle mich mies dabei.
Ach, warum rege ich mich überhaupt über Jean-Pierre auf? Er wird sich schon melden.
Klar, ist das cool, dass wir nach mehreren Jahren endlich wieder Kontakt haben und sogar jeweils bei unseren Eltern leben.
Er bei seiner Mom.
Ich bei meinem Paps.
Beide Verlassene.
Aber gut, löse ich mich von meinem Gedanken.
Jetzt muss ich erst mal noch das blöde Einparken für die praktische Prüfung üben, die ist schon in drei Wochen.
Ich schnaufe tief durch die Nase aus.
Ob ich Alex einfach noch einmal frage? Schließlich hat er mir angeboten, mit mir zu üben. Aber irgendwie weiß ich nicht so recht, wie ich mit der Situation umgehen soll. Warum verknallt er sich ausgerechnet jetzt in mich, wo ich doch so ein emotionales Wrack bin? Soll ich ihm jetzt simsen oder nicht?
Ich lasse die Frage kurzzeitig unbeantwortet in meinem Kopf herumschwirren.
Ach, scheiß drauf! Ich habe ihm schließlich ehrlich gesagt, wie es bei mir gerade aussieht, und es ist schließlich nicht so, dass ich ihn nicht mag, halt nur anders.
Meine Gedanken überschlagen sich in meinem Kopf, und ich greife schließlich nach meinem Handy.
„Hallo Alex, ich habe morgen frei. Du wolltest doch mit mir rückwärts einparken...“
Ich lösche den Text wieder und fange nochmal an:
„Hi Alex, würde es morgen Nachmittag bei dir passen, damit wir auf dem Parkplatz nochmal das Einparken üben können? LG, Steph.“
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Mein Handy piept und kündigt eine eingegangene Nachricht an.
Ach, vielleicht endlich Jean-Pierre, denke ich noch, schaue auf das Display und atme tief ein und wieder aus.
Nur Alex.
Er hätte mir auch schon gestern antworten können, denke ich und lese die SMS. „Ich würde mich freuen, dich heute um ? zu sehen! Ciao, A.“
„Wie lange musst du denn arbeiten, dann gleich danach? 15 Uhr?“, hacke ich in die Tastatur meines Handys.
Ich bin ganz schön unfair, denke ich, während ich mich im Bad zurechtmache. Alex kann nun wirklich nichts für meine Situation, und er meint es nur gut. Ich mag sein geschriebenes Wort, und es berührt mich, zu sehr. Doch ich kann ihm das nicht sagen, noch nicht oder vielleicht nie?
Sebastian ist einfach noch zu omnipräsent. Dass er Schluss gemacht hat, ist gerade mal ein paar Monate her und ich komme einfach nicht drüber hinweg.
Ich will ihn wieder zurück und ich werde wieder mit ihm zusammenkommen. An diesen Gedanken klammere ich mich seit Wochen.
Und Alex…
Doch da klingelt es an der Tür und ich werde aus meinen Gedanken gerissen. Ich schiebe alles beiseite und eile die Treppe hinunter. Ich öffne die Tür.
„Hi.“
„Was grinst du denn so?“, begrüßt mich Alex zurück.
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„Okay, das reicht. Ich habe genug geübt“, sage ich zu Alex. „Das wird schon klappen, außerdem können wir ja nächste Woche noch einmal üben.“
„Wie du meinst. Es lief doch ganz gut“, grinst mich Alex an.
„Meinst du das ernst?“, frage ich automatisch nach, nicht wissend, ob die Frage einen ironischen Unterton beinhaltet.
Alex grinst weiter.
„Und jetzt?“, frage ich nach, „Sollen wir was essen? Ich habe voll Hunger.“
„Klar, lass uns zu mir fahren, ich habe einiges im Kühlschrank, da wird sich schon etwas finden.“
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„So, jetzt bin ich satt“, fasse ich mir an den Bauch und lehne mich zurück.
„Ich auch“, und Alex tut es mir gleich. „Was hältst du davon, wenn wir noch ins Kino gehen?“
„Meinst du, dass heute noch was Gescheites läuft?“
„Da brauchst du gar nicht so deine Augenbraue hochzuziehen“, neckt er mich, und sein Lächeln bringt mich zum Schmunzeln.
Warum kann ich Sebastian nicht einfach vergessen, denke ich und schiebe den Gedanken schnell beiseite.
„Na dann, werfe ich mal einen Blick in unsere super-duper Lokalzeitung. Wobei ich ehrlich gestehen muss, dass ich immer noch mit dem Gedanken spiele, mit meiner Freundin ins PM zu fahren. Hätte mal wieder Lust abzutanzen. Kannst ja mitkommen, wenn du magst?“
„Nee, lass mal. Ich halte dich bestimmt nicht auf. Wir können auch ein anderes Mal ins Kino gehen.“
Der Klang seiner Stimme berührt mich.
„Okay, also hier ist das Kinoprogramm“, ich überfliege das spärlich besäte Programm und beginne vorzulesen, „Natürlich blond 2 läuft um 19:00 Uhr und Werner – Gekotzt wird später! um 20:30 Uhr“ und Hulk läuft erst am Wochenende. Also kein Kino für uns.“
„Kein Werner-Fan?“
„Sicher nicht“, und ich spüre, wie meine Augenbraue erneut zum Einsatz kommt.
Ich bleibe an der Zeitungsseite hängen und mein Blick wandert unterhalb des Kinoprogramms. Irgendetwas hämmert gegen meine Hirnwindungen, aber ich weiß nicht, was es ist, auch nach längerem Hinsehen nicht.
Ein J, ein E, ein A, ein N, ein P, ein I, ein E, ein R, ein R, ein E. Was bedeutet das? Ein B, ein I… Auch die weiteren Buchstaben kommen irgendwo in meinem Gehirn an. Hä, warum steht hier der Name von Jean-Pierre, schreit es lautlos in meinem Kopf.
Mein Gehirn registriert sein Geburtsdatum und noch ein Datum. „Warum steht vor dem zweiten Datum ein Kreuz?“, frage ich mich ernsthaft.
Mein Verstand will immer noch nicht glauben, was meine Augen längst erfasst haben.
Wir saßen doch erst noch vor drei Wochen auf der Terasse einer Bar und philosophierten über das Leben. Er behauptete, dass Leben ist dem Schicksal unterstellt und ich konterte damit, dass alles nur Zufall sei. Nach dem Motto: Es kommt wie es kommt. Und was sagte er darauf?
"Ganz ehrlich, ich glaube, dass es einen Sinn hat, dass wir heute hier sitzen. Vielleicht sehen wir uns heute das letzte Mal, weil ich in zwei Wochen schon tot bin?"
"Na, das ist ja wohl totaler Schmarrn. Du wirst kaum in zwei Wochen tot sein."
"Nun, so oder so, hat es einen Sinn." Und seine Wangengrübchen werden sichbar, als er mich angrinst.
Ich schüttelte innerlich den Kopf, da ich ihm diese eingeschränkten Gedanken nicht zugetraut hätte. Schicksal! Als ob alles schon festliegen würde, und wir keinen Einfluss mehr darauf hätten, was in unseren Leben passiert. Das klingt für mich unverständlich. Schicksal vs. Zufall oder was?
„Steph, was ist los?“, reißt mich Alex aus meiner Starre und meiner Erinnerung.
„Äh, ich weiß nicht, ich … da steht Jean-Pierres Name…“, und schaffe es nicht, das gerade Begriffene auszusprechen.
Ich spüre die Wärme in meinem Rücken. Alex schaut mir über die Schulter und liest, was ich gerade gelesen habe.
Instinktiv drehe ich mich zu ihm um und nehme ihn in den Arm. Er tut es mir gleich und scheint mit der Situation sichtlich überfordert.
Obwohl ich unweigerlich verstanden hatte, was ich da von Jean-Pierre gelesen hatte, war es mir unmöglich, diese Tatsache zu akzeptieren.
Ich konnte kaum noch sprechen und war einfach nur froh, in Alex' Nähe zu sein.
Zunächst.
Er versuchte, mich zum Schachspielen zu animieren, um mich abzulenken. Doch während wir die Figuren zogen, starrte ich nur vor mich hin, unfähig, den nächsten Zug zu machen.
Unsere Hände lagen jeweils neben dem Schachbrett, und mit jedem Zug, den wir die Figuren sich bewegen ließen, nahm ich das Näherkommen seiner Hand wahr.
Bis sich schließlich unsere Hände berührten.
Mein Herz schlug noch schneller und schien so laut zu pochen, dass mein Gegenüber es hören musste.
Aber in dieser Situation wollte ich dieses gute Gefühl nicht spüren, wollte dieses angenehme Gefühl nicht mit dem schweren Gefühl des Verlustes vermischt wissen.
Hier ging es nicht um Alex und mich.
Plötzlich piepte mein Handy, und ich zog hastig meine Hand aus seiner und griff erleichtert in meine Tasche.
„Hi Liebes, kommst du jetzt mit? Dann hole ich dich in einer Stunde ab,“ las ich.
Mein Blick verweilte kurz auf dem Display des Handys.
Ich blickte zu Alex rüber: „Bitte fahr mich jetzt nach Hause. Ich gehe heute noch tanzen.“
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